Die drei Gunas: Sattva, Rajas und Tamas

Erstellt: Juli 2020

Es gibt auch eine englische Version dieses Artikels.

Hier noch als PDF eine Präsentation über die drei Gunas.

Ein Grundkonzept des Veda

Die Lehre von den drei Gunas ist ein ganz grundlegendes Konzept des Veda. Die Gunas finden in fast allen Schriften der vedischen Literatur Erwähnung - in der Bhagavad Gita, den Puranas, der Sankhya- Philosophie, den Yoga-Sutras usw. Viele Vorgänge im Leben kann man überraschend gut einordnen, wenn man dieses Konzept einmal verstanden hat. Deshalb soll hier erklärt werden, was die Gunas sind.

Die 3 Gunas - Grundkräfte der Prakriti

Das gesamte Universum mitsamt aller Aktivität ist Ausdruck der Prakriti, der Natur. Nur die absolute Wirklichkeit des Selbst, des Purusha, des Atman, ist jenseits des Bereichs von Prakriti. Prakriti bedeutet soviel wie "Das, was Aktivität (kri) hervorbringt (pra)" und kennzeichnet den gesamten Bereich der Relativität.

Guna bedeutet Eigenschaft, Qualität oder Zustand. Die Gunas sind die Grundkräfte der Natur. Alle Formen und Prozesse im Universum werden als Wechselspiel der drei Gunas beschrieben.

Die 3 Gunas: Aufbau - Erhaltung - Zerstörung

Die drei Gunas heißen Sattva, Rajas (wird Radschas gesprochen) und Tamas. Sie verkörpern in dieser Reihenfolge die Kräfte der Erschaffung, des Aufrechterhaltens und der Zerstörung.

Das Hauptmerkmal von Prakriti, das auch in ihrem Namen zum Ausdruck kommt, ist permanente Veränderung. Alle drei Gunas sind in jedem Punkt der Schöpfung – immer und überall – zusammen am Wirken, aber nicht überall im gleichen Verhältnis. Sattva beinhaltet einen entwickelteren Zustand höherer Ordnung, der von Rajas in Form von lebendiger Aktivität verwirklicht wird, während Tamas den alten Zustand aufrechterhalten will und die Entwicklung so verzögert – in diesem Sinn ist Tamas zerstörerisch für den Entwicklungsprozess.

Herrscht an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit Sattva vor, so beobachtet man dort einen hohen Grad von Ordnung, von Leben, von Freude, Ganzheit, Wachheit, Intelligenz. Herrscht Rajas vor, so stehen die sehr dynamischen Umordnungsprozesse im Vordergrund, die einen Zustand geringerer Ordnung (Leben, Freude ...) in einen Zustand höherer Ordnung transformieren. Wo Tamas dominiert, ist Stagnation zu beobachten, die zu Zerstörung, Verfall, Verfaulen führt – die Evolution gerät ins Stocken.

Die drei Gunas im Bewusstsein des Menschen

Im menschlichen Leben sind es die tiefen, stillen, klaren Ebenen des inneren Bewusstseins, die von Sattva dominiert sind. Sattva bedeutet Klarheit, Licht, Reinheit, Stille, Freude, Sanftheit, Liebe, Wachheit, Wissen, Ordnung. Das Tamas herrscht in der Materie vor und tritt im menschlichen Bewusstsein – wo es nicht hingehört! – in Erscheinung als Dumpfheit, Trägheit, Schlaf, Wahn, Triebhaftigkeit, Gleichgültigkeit, Vergessen. Tamas verdeckt, verbirgt die wahre Wirklichkeit. Das Rajas dominiert im Bereich der Wechselwirkung von Geist und Körper, Bewusstsein und Materie. Im der Welt des Denkens und Fühlens nimmt Rajas die Form von Leidenschaft und Aktivität an: Begierde und Hass, Lust und Schmerz, Zuneigung und Abneigung. Rajas steht in der Mitte zwischen Sattva und Tamas.

Die drei Gunas und die Evolution

Leben bedeutet Entwicklung, Evolution. Die Entwicklung geht dabei immer von einem Zustand von Tamas über Rajas zu Sattva, d. h. von der Dumpfheit des unentwickelten Tamas-Zustandes über die heftige Aktivität von Rajas hin zur lauteren, freudevollen Stille von Sattva. Man kann auch sagen: unter dem Einfluss von Sattva verwandelt sich Tamas in Rajas und läutert sich schließlich zu Sattva. Sattva und Tamas sind Gegenspieler; sie können sich nie direkt begegnen. Es entsteht immer eine Schicht von Rajas zwischen beiden.

Sattva und Tamas sind Zustände von Ruhe: Tamas das dumpfe, unbewusste Verharren im rohen Anfangszustand, Sattva die geläuterte Stille des höchsten Ordnungszustandes. Dazwischen tobt das Rajas. Rajas bedeutet Krieg, Unruhe, Schmerz und verzehrende Leidenschaft.

Darum sagt Veda Vyasa im Mokshadharma des Mahabharata:

"Der ganz Weise [Sattva] und der ganz Unwissende [Tamas] sind frei von Kummer. Aber der dazwischen ist [Rajas], hat zu leiden."

Der Weise hat das Leiden hinter sich gelassen, dem ganz Unwissenden steht es erst noch bevor!

In jedem Prozess im Universum – vom winzigsten Partikel bis zur Aktivität von Galaxien und zudem auch in allen Formen geistiger und emotionaler Aktivität – sind stets alle drei Gunas gegenwärtig, allerdings in unterschiedlichem Verhältnis zueinander. Die gesamte kosmische Aktivität kann als das Spiel der drei Gunas beschrieben werden.


Am einfachsten kann man dies verstehen, wenn man es so auffasst, dass in jedem Prozess ein kleiner oder großer Anteil von Bewusstsein (Sattva) sich auf ein Objekt (Tamas) richtet und infolge dessen zwischen den beiden eine Wechselwirkung (Rajas) stattfindet.

In einem "unbelebten Objekt", wie z. B. einem Stein, dominiert das Tamas, d. h. der Objektanteil in Gestalt von Tamas ist hier so überwältigend groß, dass der winzige Anteil von Bewusstsein (Sattva) - der aber nichtsdestoweniger vorhanden ist! - die Aktivität (Rajas) des Steins nur sehr geringfügig prägen kann, so dass diese fast ganz von der Tamas-Dominanz in Gestalt von Trägheit bestimmt wird.

In den höher organisierten "Aktivitäts-Strukturen" von Lebewesen sind in den Prozessen und Unterprozessen höhere Anteile von Rajas und Sattva zu finden. Je höher entwickelt das Lebewesen, umso mehr Möglichkeiten hat das Bewusstsein (Sattva), die Prozesse (Rajas) zu gestalten und in höherem Grade Herr über die objektive Welt (Tamas) zu werden, anstatt von ihr bestimmt und eingeschränkt zu werden.

Tabelle der Gunas

Die folgende Tabelle ordnet verschiedene Aspekte des Lebens den drei Gunas zu. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass nie und nirgends eines der drei Gunas für sich allein auftritt. Es ist immer eine Frage, welches Guna vorherrscht.

Die Tabelle ließe sich beliebig fortsetzen, da alle psychischen und physischen Aktivitäten im Universum Ausdruck des Zusammenwirkens der drei Gunas sind.

Die drei Gunas und Bewusstseinsentwicklung

Was die Bewusstseinsentwicklung eines Menschen betrifft, so ist es das Ziel, im Bewusstsein die Vorherrschaft von Sattva zu verwirklichen. Nur Satto-Guna oder Sattva ist fähig, die Realität des Selbst, die jenseits der drei Gunas – also auch jenseits von Sattva – ist, im Geist widerzuspiegeln.

Wenn wir den Geist mit einem See vergleichen und die Wirklichkeit des Absoluten, des Selbst, des Purusha, mit dem Vollmond am Himmel, so entspricht die klare, stille Oberfläche des Sees dem von Sattva dominierten Geist – der Vollmond ist nicht im See, aber er spiegelt sich klar in ihm wider: rund, lichtvoll, ruhig. Bei Vorherrschen von Rajas ist das Wasser des Sees aufgewühlt, voller Wellen, und der eine, vollendet runde Mond erscheint als eine Vielfalt sich unruhig hin und her bewegender Lichtreflexe – das eine, ewige, unveränderliche Selbst wird unter dem Einfluss von Rajas fälschlicherweise als die Vielfalt der Formen, Wesen und Dinge der Welt wahrgenommen. Das Tamas entspricht einem von einer Schicht von Wasserlinsen bedeckten See. Selbst wenn Rajas schwach und der See somit ruhig ist, ist vom Mond nichts zu erkennen – erst nach Beseitigung der Wasserlinsen (die den See notwendigerweise in Unruhe versetzen wird) ist überhaupt an eine Wahrnehmung des Lichtes des Mondes oder des Mondes in seiner vollendeten Gestalt zu denken. Unter dem verhüllenden Einfluss von Tamas weiß der Geist nichts von einem Selbst.

Die Bewusstseinsentwicklung gleicht einem Prozess der Sortierung, des Ordnens: Rajas gehört in den Bereich der Handlung, Tamas in den Bereich der Materie - beide sollten nicht im Bewusstsein vorherrschen, wo naturgemäß das Sattva beheimatet ist. Die in der Meditation erfahrene ruhevolle Wachheit lässt das Sattva im Bewusstsein anwachsen. Da, wo das sich ausdehnende Sattva auf Tamas trifft, entstehen Umordnungsprozesse in Form von Rajas. Das Rajas selbst beruhigt sich unter dem Einfluss von Sattva und wird schließlich zu Sattva. In dem von Sattva dominierten Geist leuchtet die Realität des Atman, des Selbst auf.

In seinem Werk "Das Kleinod der Unterscheidung" beschreibt Shri Shankara, einer der bedeutendsten Meister der vedischen Tradition, die Funktion der Gunas; Maya ist hierbei eine andere Bezeichnung für Prakriti, die kosmische Matrix:

"Ebenso, wie die Erkenntnis des Seils als Seil die Illusion, es sei eine Schlange, zerstört, so wird Maya (Täuschung) durch die Erfahrung des reinen freien Brahman, des Einen ohne Zweiten, zerstört. Maya besteht aus den Gunas – den Kräften, die als Rajas, Tamas und Sattva bekannt sind. Diese haben unterschiedliche Merkmale.

Rajas hat die Kraft der Projektion. Seine Natur ist Tätigkeit. Durch seine Kraft beginnt die Welt der Erscheinungen, die in Maya unmanifestiert ist, sich zu manifestieren. Es entstehen Bindung, Begierde und ähnliche Regungen, sowie Kummer und ihm verwandte Stimmungen.

Lust, Ärger, Habgier, Hochmut, Eifersucht, Egoismus, Neid und andere solche Laster sind die negativen Merkmale von Rajas. Wenn ein Mensch von ihnen überwältigt wird, bindet er sich an das Handeln in der Welt. Daher ist Rajas die Ursache von Bindung.

Tamas hat die Macht, die wahre Natur eines Gegenstandes zu verhüllen und ihn anders erscheinen zu lassen, als er ist. Es ist die Ursache für die nie endende Unterwerfung unter das Rad von Geburt und Tod. Es ermöglicht auch die Auswirkung der Macht von Rajas.

Ein Mensch kann intelligent, klug und gelehrt sein. Er mag die Fähigkeit zu strenger Selbstanalyse besitzen. Doch wenn er von Tamas überwältigt ist, kann er die wahre Natur des Atman [des inneren Selbst] nicht verstehen, selbst wenn sie ihm auf verschiedenste Weise deutlich erklärt wird. Er hält die Erscheinung, das Ergebnis seiner Unwissenheit, für die Wirklichkeit und wird somit in Täuschungen verstrickt. Diese verdunkelnde Macht des Tamas ist überaus groß.

Die charakteristischen Merkmale von Tamas sind die Unfähigkeit, den tatsächlichen Gegenstand in seiner wirklichen Gestalt wahrzunehmen, das Fluktuieren der Gedanken und der Irrtum, Trugbilder für die Wirklichkeit zu halten. Solange der Mensch an Tamas gebunden ist, kann er sich von diesen Eigenschaften nicht befreien. Auch wird ihn Rajas solange unablässig beunruhigen.

Tamas hat noch weitere charakteristische Merkmale: Unwissenheit, Trägheit, Dumpfheit, Schlaf, Täuschung und Dummheit. Ein Mensch unter seinem Einfluss kann nichts verstehen. Ein solcher Mensch lebt wie ein Schlafwandler oder wie ein unbewusster Holzklotz.

Sattva ist Reinheit. Selbst wenn es, wie Wasser mit Wasser, mit Rajas und Tamas vermischt ist, erleuchtet es den Weg zur Befreiung. Sattva offenbart den Atman wie die Sonne die gegenständliche Welt erhellt.

Mit den anderen Gunas vermischt sind die charakteristischen Merkmale von Sattva: Demut, Reinheit, Zufriedenheit und Ernst, der Wunsch, die vedischen Schriften zu studieren, Gottergebenheit, Unschuld, Wahrhaftigkeit, Enthaltsamkeit, Begierdelosigkeit, Glauben, Hingabe, Sehnsucht nach Befreiung, Abneigung gegen die Dinge dieser Welt und andere Tugenden, die zu Gott führen.

In seinem reinen Zustand hat Sattva folgende Merkmale: Stille, unmittelbare Wahrnehmung des Atman, vollkommener Frieden, Zufriedenheit, Freude und ständige Hingabe an den Atman. Durch diese Eigenschaften findet der Gottsucher immerwährende Glückseligkeit.

Maya wird als eine Verbindung der drei Gunas beschrieben ... Wisse, dass Maya und alle ihre Wirkungen – vom kosmischen Intellekt bis zum grobstofflichen Körper herab – vom Atman verschieden sind. All dies ist unwirklich wie eine Fata Morgana in der Wüste."

Die Bedeutung der Erkenntnis der drei Gunas

In der Bhagavad Gita sagt Shri Krishna zu Arjuna:

"Sei ohne die drei Gunas, Arjuna." (BG 2.45).

Dies ist gleichbedeutend mit der Aufforderung, das Selbst zu verwirklichen, denn einzig und allein das Selbst, der Purusha, ist ohne die drei Gunas, d. h. jenseits und unberührt von ihnen. Dies bedeutet: transzendiere den Bereich der drei Gunas, meditiere, erfahre reines Bewusstsein, die Wirklichkeit des Atman jenseits der Gunas.

Krishna betont aber nicht nur, dass es notwendig ist, in der Erfahrung über den Bereich der drei Gunas hinauszugehen, sondern er hebt auch hervor, dass es für die Erlangung der Erleuchtung sehr wichtig ist, auf der Ebene des Wissens die drei Gunas, ihr Wirken und ihre Beziehung zum Selbst (Purusha) zu verstehen:

"In Wahrheit werden sämtliche Aktivitäten im Universum von den drei Kräften (Gunas) der Natur (Prakriti) durchgeführt – aber der im Wahn des Ich-Bewusstseins Befangene denkt: Ich bin der Handelnde. Wer jedoch erkannt hat, o Starkarmiger, dass das Selbst von den Gunas und ihren Aktivitäten getrennt ist, der verstrickt sich nicht in Bindung, sondern denkt: Die Gunas wirken auf die Gunas ein." (BG 3.27-28)

"Wer so den Purusha und die Prakriti mitsamt den Gunas kennt, wird nicht wieder geboren, unter welchen Umständen auch immer er leben mag." (BG 13.23)

Das Selbst zu verwirklichen und ewige Befreiung im Zustand kosmischen Bewusstseins zu erlangen ist gleichbedeutend damit, die unterscheidende Erkenntnis zu etablieren zwischen dem, was das Selbst ist und dem, was das Nicht-Selbst ist. Für die geforderte klare Erkenntnis des Bereichs des Nicht-Selbst ist ein tiefgehendes Verständnis der Philosophie der drei Gunas notwendig. So ergänzen sich Wissen und Erfahrung auf dem Weg zur Erleuchtung.

In der Bhagavad Gita ist das Kapitel 14 der Entfaltung des Wissens über die drei Gunas gewidmet - dieses Wissen wird in den Kapiteln 17 und 18 erweitert und anhand von zahlreichen Beispielen erläutert.